Mit Eimer, Schaufel und Verbandspäckchen

Andreas Glück wollte nur ein paar Tage mit Eimer und Schaufel im Ahrtal helfen. Daraus wurden mehrere Wochen, in denen der EU-Abgeordnete Betroffene und Freiwillige medizinisch versorgte.

Andi Glück im Ahrtal
Alltag im Sanitätslager: Andreas Glück im Einsatz.

Wie lange waren Sie im Einsatz?
Glück: Eigentlich wollte ich nur für ein oder zwei Tage ins Ahrtal, um mit Eimer und Schaufel zu helfen. Aber schon nach dem ersten Tag war klar, dass das nichts wird. Zutiefst betroffen von der schwierigen Situation der Menschen und nach einem Gespräch mit den Organisatoren des Helfer-Shuttles war klar, dass ich nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause wiederkommen würde. Den „Heimaturlaub“ habe ich genutzt, um Spenden zu organisieren. Neben Geld waren dies gerade auch dringend benötigte Verbandsmaterialien und Medikamente. Die Arbeit war erfüllend und anstrengend zugleich, gerade auch weil ich mit meinem Campingbus im Helfercamp praktisch rund um die Uhr verfügbar war. Nach ungefähr zehn Tagen wollte ich mich dann verabschieden. Da hat mich mein Medizinteam zu einer Besprechung gerufen und gemeint: „Doc, falls Du nächste Woche wiederkommst, sind wir alle auch wieder hier.“ Als ich deshalb zu Hause angerufen habe, hat meine Frau nur verständnisvoll gelacht und gesagt, dass sie mit dieser Situation eh schon gerechnet hatte. Viele Helfer berichten, dass sie das Ahrtal schlicht nicht losgelassen hätte. Kaum zu Hause fühlte sich das irgendwie falsch an und viele haben sich nach kurzer Zeit gleich wieder auf den Weg zum Helfercamp gemacht. So ging es mir auch. Insgesamt war ich ungefähr 15 oder 16 Tage im Einsatz über einen Zeitraum von drei Wochen hinweg.

 

Was hat sie dazu bewogen, sich aktiv im Ahrtal zu engagieren?
Glück: Mich hat das Schicksal der Menschen nach der Flutkatastrophe nicht in Ruhe gelassen. Es hat sich einfach nicht richtig angefühlt, mich da nicht einzubringen. Da habe ich eine örtliche Kollegin aus dem Deutschen Bundestag, Carina Konrad, angerufen und gefragt, wie ich mich engagieren könnte. Neben ein paar Informationen zu Spendenkonten kam der Hinweis, dass es die freiwillige Initiative des Helfer-Shuttles gebe. Die Antwort der angeschriebenen Organisatoren des Helfer-shuttles war klar: „Komm einfach, wir können jede helfende Hand gebrauchen.“ Das war für mich der Startschuss.

 

Sie waren mit Eimer und Schaufel direkt vor Ort. Wie konnten Sie konkret helfen?
Glück: Der erste Tag meines Einsatzes war in Walporzheim, ganz in der Nähe von Bad Neuenahr. Die ersten Eindrücke der massiven Zerstörung fühlten sich an, als säße ich im falschen Film. In zwei Häusern haben wir versucht ,die Keller von einer Mischung aus Schlamm, Öl und allem möglichen anderen zu befreien. Erst Tage später erfuhr ich, dass das eine Haus einsturzgefährdet war und abgestützt werden musste. Neben der Arbeit mit Eimer und Schaufel hatte ich mich auch immer mehr um die Wunden der Betroffenen und unserer Helfer gekümmert.

Wie konnten Sie noch unterstützen?
Glück: Schon nach dem ersten Tag war klar, dass ich noch besser helfen konnte, wenn ich Eimer und Schaufel gegen Rettungsrucksack und Verbandspäckchen tausche. Das lag zum einen daran, dass die Betroffenen praktisch ohne Unterbrechung seit einer Woche versucht haben zu retten, was noch zu retten war und dabei teilweise üble Verletzungen erlitten. Zum anderen, weil auch unsere Freiwilligen immer wieder mit teilweise infizierten Wunden oder Fremdkörpern im Auge vom Tal zurückkamen.
Konkret haben wir im „Haribocamp“ an der A61 ganz in der Nähe der Gummibärchenfabrik eine Sanitätsstation für unsere Freiwilligen aufgebaut. Außerdem waren wir tagsüber natürlich auch in den einzelnen Dörfern unterwegs. Den Satz: „Hallo, mein Name ist Andi Glück, ich bin der Doc vom Haribocamp, braucht Ihr ärztliche Versorgung?“, habe ich gefühlt um die tausendmal benutzt.


Wenn sie jetzt an Ihren Einsatz denken, was ist Ihnen nachhaltig in Erinnerung geblieben?
Glück: Erstens, dass man sich in das Ahrtal mit seinen Menschen echt verlieben kann.
Zweitens, die Gewissheit, dass es viele gute Menschen gibt. Die Rücksichtnahme der Betroffenen untereinander, als auch die große Hilfsbereitschaft von Menschen aus ganz Deutschland hat mich schwer beeindruckt. Schon während des Einsatzes kam mir der Satz in den Kopf: „Wenn einer den Glauben an die Menschheit verloren hat, muss er ins Ahrtal kommen. Da findet man ihn wieder.“


Was ist Ihnen außerdem aufgefallen?
Glück: Hier stechen für mich zwei Dinge hervor. Ohne nachgezählt zu haben, bekam ich immer wieder den Eindruck, dass es sich bei der Mehrheit unserer Freiwilligen um Helferinnen gehandelt hat. Das klassische Bild, dass es vor allem Männer wären, die hart körperlich arbeitend im Hilfseinsatz sind, ist veraltet und ganz offensichtlich falsch. Und noch etwas Anderes fiel mir auf. Häufig waren bekannte Gesichter aus unserer liberalen Parteifamilie beim Helfen zu sehen. Gerade nicht nur zum Selfie machen, sondern teilweise im wochenlangen Einsatz und ganz ohne das eigene politische Engagement an die große Glocke zu hängen. Liberale Funktionsträger und Abgeordnete dreckverschmiert beim harten Einsatz mit der Schaufel. Oder der Generalsekretär eines Landesverbands, der kurzerhand den Job als „Lagerist“ im Camp ergattert hatte und so über Wochen hinweg bestimmt mehrere Tonnen Material mit Muskelkraft bewegte. Vielleicht ist das eine Art selektiver Wahrnehmung oder Zufall, doch eigentlich bin ich überzeugt, dass wir eben nicht nur Freude an Freiheit haben. Wir Liberale haben offensichtlich verstanden, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.


Was ist notwendig ,um die Menschen vor Ort weiter zu unterstützen?
Glück: Diesbezüglich bin ich mit einem befreundeten Organisator des Helfer-Shuttles regelmäßig in Kontakt. Für die ersten Wochen und Monate war neben der wertvollen Hilfe der „Blaulichtfraktion“ und der Bundeswehr auch die konkrete Hilfe Freiwilliger vor Ort wichtig und richtig. Neben der Notwendigkeit praktikabler Ausgestaltung von Politik und Verwaltung vor Ort ist mittlerweile die finanzielle Unterstützung noch wichtiger geworden. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man finanziell konkrete Projekte unterstützen kann, sei es zum Beispiel über die Spendenkonten der Gemeinden oder über die Projekte von www.spenden-shuttle.de. Die Behebung der Schäden wird noch Jahre in Anspruch nehmen und ist viel weniger ein Sprint, denn ein Marathon.

Dieser Text erschien zuerst in der fdplus-Ausgabe 04|2021