Antrag A3007: Demokratische Teilhabe für Auslandsdeutsche

Antragsteller/ -in: Sachgebiet:
Auslandsgruppe Europa A3 - Selbstbestimmt in allen Lebenslagen

Der Bundesparteitag möge beschließen:

Eine zunehmende Zahl von Deutschen lebt und arbeitet für längere Zeit im europäischen und außereuropäischen Ausland, aktuell sind es zwischen 1 und 4 Millionen deutsche Bundesbürger. Diese Auslandsdeutschen sind heutzutage häufig die Speerspitze der deutschen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur im Ausland. Sie setzen sich dort für die Belange und Interessen der Bundesrepublik ein und sie sind ein wichtiges Aushängeschild Deutschlands. Trotz der Tradition der Auslandsdeutschen, ihrer wichtigen Rolle für die Bundesrepublik und der deutschen Gesellschaft haben die Auslandsdeutschen im Bundestag keine direkte Repräsentation und keine angemessene Interessenvertretung. 

Eine Erleichterung der Wahlausübung für Auslandsdeutsche bei der Bundestagswahl, so wie sie auch im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, schafft hier keine Abhilfe, da damit keine direkte Interessenvertretung geschaffen wird. Die von der Koalition angestrebte Änderung des Bundeswahlgesetzes ist aber eine einzigartige Chance, den eklatanten Missstand wirklich zu beheben.

Wir fordern daher die folgenden Punkte anzustreben:

  • Angemessene demokratische Repräsentation und Verstärkung der politischen Teilhabe der Auslandsdeutschen durch Auslandswahlkreise und ein damit verbundenes passives Wahlrecht
  • Vereinfachung, Ermöglichung und Beschleunigung der Stimmabgabe für Auslandsdeutsche durch eine direkte Einbeziehung der Botschaften und, soweit unter Einhaltung der Wahlgrundsätze möglich, die Nutzung digitaler Kommunikationswege.

    Begründung 

    In den letzten dreißig Jahren hat sich das Bild von Deutschland gewandelt. Wegen der fortschreitenden europäischen Integration und Globalisierung sind nationale Grenzen durchlässiger geworden. Deutschland wird weithin zu Recht als Einwanderungsland gesehen, aber mit einer wachsenden Zahl von Auslandsdeutschen ist es auch ein nicht zu unterschätzendes Auswanderungsland. Auslandsdeutsche sind Bundesbürger, die in Europa und der Welt wohnen und somit in Deutschland nicht mehr gemeldet sind, aber trotzdem in vielen Fällen weiterhin sehr enge Beziehungen zu Deutschland pflegen und häufig auch nach mehreren Jahren in Ausland wieder nach Deutschland zurückkehren. Diese Bindungen werden durch die fortschreitende Digitalisierung weiter gestärkt und sie haben zur Folge, dass Auslandsdeutsche von vielen Gesetzen, die im Bundestag verabschiedet werden, genauso direkt betroffen sind und sein werden, wie Bundesbürger innerhalb der Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass die Situation der Auslandsdeutschen natürlich einige Besonderheiten mit sich bringt, die im Bundestag ebenfalls Gehör finden müssen.

    Heutzutage sind häufige Gründe für längere Auslandsaufenthalte weniger persönliche Präferenzen oder Lebensentwürfe, sondern die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der global ausgerichteten deutschen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Viele Politiker haben mehrere Jahre in Brüssel gelebt, für leitende Angestellte der Wirtschaft gehören mehrjährige Auslandsaufenthalte an verschiedenen Orten praktisch zum Standard, ebenso in der Wissenschaft. Die Auslandsdeutschen sind deswegen gerade für ein so global und europäisch ausgerichtetes Land wie Deutschland ein essentieller Bestandteil der Bevölkerung.

    Offizielle Angaben zur Anzahl der Auslandsdeutschen gibt es zwar nicht, aber nach übereinstimmenden Angaben liegt die Zahl der Auslandsdeutschen, je nach Bemessungsgrundlage, zwischen 1 und 4 Millionen [1]. Als absolutes Minimum kann man die Statistik der Bundestagswahl 2021 heranziehen, bei der die Zahl der beantragten Briefwahlunterlagen von Auslandsdeutschen bei etwa 130.000 lag, bei einer über die Jahre steigenden Tendenz [2]. Diese Zahl der Wähler entspricht nach aktuellem Wahlrecht einem durchschnittlichen Wahlkreis mit einer Wahlbeteiligung von etwa 63 Prozent. Im Vergleich mit der Wahlbeteiligung innerhalb der Bundesrepublik ein niedriger Wert aber angesichts der beträchtlichen bestehenden Wahlhindernisse [3] und fehlenden Anreize für Auslandsdeutsche wohl eine sehr optimistische Annahme. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die realistische Zahl der Auslandsdeutschen sehr viel größer als ein aktueller Wahlkreis ist.

    Das deutsche Wahlrecht hat der europäischen und globalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte bisher nicht Rechnung getragen und für Auslandsdeutsche ist die aktuelle Situation sehr unbefriedigend. Auch wenn sie aktiv wählen dürfen, sehen sie sich nicht im Bundestag vertreten. Da die Stimmen der Auslandsdeutschen mehr oder weniger zufällig über ganz Deutschland verteilt werden (sie zählen in dem Wahlkreis, in dem die oder der Auslandsdeutsche zuletzt in Deutschland gewohnt hat), ergibt sich für keine Bundestagsabgeordnete und auch keine Partei ein besonderes Interesse, die Standpunkte, Interessen und Anliegen der Auslandsdeutschen zu vertreten. Einige Millionen Bundesbürger werden damit im Bundestag effektiv unter den Teppich gekehrt. Eine realistische Chance, sich selber für ihre Interessen durch die Wahrnehmung des passiven Wahlrechts im Bundestag zu engagieren, haben Auslandsdeutsche ebenfalls nicht. Hier wären Auslandswahlkreise ein sehr großer Gewinn an demokratischer Repräsentation und sie würden das deutsche Wahlrecht auf die Höhe der Zeit bringen.

    Andere europäische Länder, so zum Beispiel Frankreich und Italien, sind hier wesentlich weiter [4]. In diesen Ländern gibt es Auslandswahlkreise, die mit eigenen Sitzen in den Parlamenten vertreten werden. Hier wurde das Wahlrecht somit schon in Einklang mit der europäischen Idee der grenzenlosen Mobilität gebracht.

    Neben dem gewichtigen Vorteil der angemessenen demokratischen Repräsentation von Auslandsdeutschen würden Auslandswahlkreise gerade im deutschen Wahlsystem die Hürden für eine Wahlbeteiligung im Ausland senken und die Wahlbeteiligung und Durchführung vereinfachen. Denn durch die geografische Zuordnung der Länder zu Auslandswahlkreisen wird eine Struktur geschaffen, die der dezentralen Struktur innerhalb der Bundesrepublik sehr ähnlich ist. Mithin würde einer stärkeren Einbeziehung der Botschaften in den Wahlprozess wenig im Wege stehen. Es müsste nur eine Version des Wahlscheins vor Ort verfügbar sein, nämlich diejenige des entsprechenden Auslandswahlkreises. Wenn die wünschenswerte digitale Möglichkeit zur freiwilligen Eintragung in das Wählerverzeichnis nicht möglich sein sollte, könnte dies ebenfalls über die Botschaften durchgeführt werden. Dafür kann auf bestehende Daten in den Botschaften (zum Beispiel aus der Beantragung von Pässen und des analogen und digitalen Personalausweises) zurückgegriffen werden. Da Postlaufzeiten innerhalb eines Landes typischerweise weit unter denen liegen, die von Deutschland in das jeweilige Land der Regelfall sind, würde das immer wieder auftretende Problem der Wahlverhinderung durch späte Zustellung eines der drei derzeit nötigen Briefe [5] ebenfalls stark reduziert.

    Zusammengefasst sehen wir Auslandswahlkreise als die geeignetste Möglichkeit, das demokratische Ideal mit ihrer Repräsentation durch freie, allgemeine und gleiche Wahlen, auch für uns Auslandsdeutsche so weit wie möglich umzusetzen. Es wäre ungerecht und nicht gerechtfertigt, die Interessen einiger Millionen Bürgerinnen und Bürger zu ignorieren.

    Referenzen und Quellen:
    [1] https://www.oecd.org/migration/mig/33868740.pdf https://datosmacro.expansion.com/demografia/migracion/emigracion/alemania
    https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/MIGR_POP1CTZ__custom_74787/bookmark/table?lang=de&bookmarkId=6950d1f0-1e83-46a7-aea5-77d1fa0c9494 und andere Quellen mehr
    [2] https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/d78833d4-0b96-4547-bb8b-abbfdd73d5e2/btw17_wista_06-2017.pdf 
    [3] https://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/bundestagswahl-und-deutsche-im-ausland-erschwerte-bedingungen-17553656.html  und https://www.deutschlandfunk.de/deutsche-waehler-im-ausland-vergessen-von-der-politik-100.html
    [4] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2015/564379/EPRS_IDA(2015)564379_DE.pdf 
    [5] https://bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/informationen-waehler/deutsche-im-ausland.html und
    https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw41-bundeswahlleiter-endergebnis-863402