Antrag A4003: Solidarität mit der Ukraine – Für eine entschiedene Antwort auf Putins Angriffskrieg

Antragsteller/ -in: Sachgebiet:
BV Oberbayern A4 - Freiheit und Menschenrechte weltweit

Der Bundesparteitag möge beschließen:

Seit Jahren eskaliert der russische Präsident die Situation in der Ukraine, aber auch anderen Nachbarländern auf aggressivste Weise. Nicht nur durch Propaganda, die direkte Unterstützung und Aufrüstung militanter Separatistengruppen und wiederholte Cyberattacken, sondern auch mit militärischen Mitteln, wie dem Angriff auf Georgien 2008 und der illegalen Annexion der Krim 2014, hat Wladimir Putin schon lange versucht, anderen, souveränen Ländern, und nicht zuletzt uns als Westen, gewaltsam seinen Willen aufzwingen.

Doch der 24. Februar 2022 stellt ein neues Level der Eskalation und eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsordnung dar. Denn erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg hat mitten in Europa ein Land ein anderes mit voller militärischer Gewalt angegriffen, um nicht weniger als einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg zu führen. Dabei schreckt Russland auch nicht davor zurück, gezielt zivile Infrastruktur, Krankenhäuser, Schulen und Flüchtende anzugreifen.

Wir Freie Demokraten bekennen uns solidarisch mit der Ukraine und fordern Russland erneut entschieden auf, seine feindlichen Akte ihr gegenüber unverzüglich einzustellen, seine Truppen abzuziehen, sowie ihre Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität entsprechend des Völkerrechts zu respektieren. Dies bedeutet auch, dass jedes Land seine Partner und Bündnisse frei wählen kann. Deutschland ist, nicht zuletzt aus seiner historischen Verantwortung gegenüber der Ukraine sowie Europa insgesamt, moralisch verpflichtet, dieser Forderung auch durch Taten Nachdruck zu verleihen und den europäischen Frieden nachhaltig zu sichern.

Deshalb begrüßen wir, dass die freie Welt, insbesondere NATO und EU, geschlossen Sanktionen gegen das russische Regime verhängt hat. Es kann nun nicht mehr mit symbolischen Maßnahmen und solchen, die uns selbst nur wenig betreffen, getan sein. Ja, Sanktionen werden auch uns etwas kosten, aber das sollten uns nicht nur unsere Werte, sondern insbesondere Freiheit, Sicherheit und Frieden in Europa wert sein. Der Preis für Sanktionen auf uns selbst mag hoch sein – doch der langfristige Preis von zu geringen Sanktionen könnte noch viel höher ausfallen. Wenn wir nicht spätestens jetzt entschieden und in einer Weise auf diese Aggression reagieren, die das russische Regime und dessen Hintermänner auch tatsächlich zu spüren bekommen, wird dies möglicherweise erst der Anfang eines noch viel größeren und katastrophaleren Eroberungsfeldzugs von Putin sein. Und nicht nur Putin analysiert die jetzt verhängten Sanktionen und allgemein die Reaktionen der freien Welt: Auch die Volksrepublik China achtet ganz genau auf unsere Reaktionen, um die internationalen Konsequenzen eines Einmarsches in Taiwan abschätzen zu können.

Daher fordern wir Freie Demokraten:

  1. Volle Solidarität mit der Ukraine, die sich nicht nur in klaren Worten, sondern auch Taten messen lässt. Es braucht angesichts der fortschreitenden Eskalation durch Putin jetzt auch eine entsprechende Antwort durch die – an konkrete Forderungen oder Taten geknüpfte – Ankündigung und Umsetzung weiterer, maximaler Sanktionen gegen das russische Regime, dessen Unterstützer und Kriegsprofiteure, welche diese auch wirklich spürbar treffen. Dazu gehören etwa
     — ein sofortiger, kompletter Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Zahlungssystem;
     — ein kompletter, auch indirekter Import- und Exportstopp nach/aus Russland (inkl. Rohstoffe, insbesondere Öl, s. unten) und Sanktionierung aller Wirtschaftssektoren, mit Ausnahme humanitär relevanter Güter (zum Beispiel Medikamente und Nahrungsmittel);
     — die indirekte Sanktionierung von Staaten, die weiterhin Handel mit Russland in kriegsrelevanten Bereichen (inklusive Rohstoffe) treiben;
     — die Aufnahme aller Mitglieder der Regierung, des Sicherheits- und Föderationsrats der Russischen Föderation und des Rats der Partei Einiges Russland auf die EU-Sanktionsliste;
     — die Ausweisung aller unmittelbaren Familienmitglieder von Personen auf der EU-Sanktionsliste aus der Europäischen Union durch den sofortigen Entzug ihrer Visa;
     — die Beschlagnahmung des persönlichen Besitzes dieser Personen (zum Beispiel Villen, Autos, Yachten, Girokonten, Aktiendepots) in der EU;
     — das Verbot für Unionsbürger, bezahlte Posten in Aufsichtsräten o. Ä. russischer Staatskonzerne zu übernehmen;
     — die Streichung des Ruhegehalts von Altkanzler Gerhard Schröder;
     — ein Verbot der Finanzierung (etwa durch Werbung) von Vereinen, Stiftungen u. Ä. durch den russischen Staat oder dessen Konzerne;
     — ein Boykott jeglicher Sportveranstaltungen in Russland;
     — die Aufforderung an andere Staaten, gleichartige Maßnahmen zu ergreifen;
     — Ländern wie der Volksrepublik China klarzumachen, dass wir es als unfreundlichen Akt auffassen, wenn sie die russische Aggression nicht klar verurteilt oder gar unterstützt – und dass wir uns dadurch auch animiert fühlen würden, zum Beispiel Schritte zur Anerkennung Taiwans zu gehen.
  2. Zwar wollen wir möglichst nicht unmittelbar militärisch in diesen Konflikt eingreifen, da dies andernfalls zu einer direkten Konfrontation mit Russland führen könnte; dennoch sollten wir die ukrainischen Streitkräfte, wie dankenswerter Weise von der Bundesregierung beschlossenen, nach wie vor mit Geheimdienstinformationen, Geld, Logistik, Munition, Waffen- und Defensivsystemen – inklusive Flugabwehrraketen und Kampfflugzeugen – sowie weiteren Gütern wie Treibstoff, Nahrungsmitteln und medizinischer Ausrüstung unterstützen. Sollte Russland jedoch tatsächlich Massenvernichtungswaffen einsetzen oder anderweitig, etwa durch den Beschuss von Kernkraftwerken, auch unmittelbar unsere eigene Sicherheit gefährden, werden wir auch den, dann wohl spätestens erforderlichen, Einsatz eigener Truppen neu überdenken.
  3. Wir haben immer betont, dass zu Diplomatie Dialog und Härte gehört. Das gilt nach wie vor. Daher unterstützen wir selbstverständlich auch weiterhin Verhandlungen zur Deeskalation des Konflikts. Ein vorstellbarer Ausweg aus Kampfhandlungen könnte etwa die Vereinbarung einer demilitarisierten Zone unter UN-Kontrolle sein. Jedoch respektieren wir hierbei in erster Linie die Wünsche der Ukrainerinnen und Ukrainer und werden daher nicht über ihren Kopf hinweg entscheiden. Insbesondere braucht es in jedem Fall klare und glaubhafte Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Zu jeder Zeit muss zudem der humanitäre Schutz der Zivilbevölkerung prioritär sichergestellt sein. Dazu gehört selbstverständlich auch, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren und sichere Fluchtwege zu ermöglichen. Kriegsverbrechen müssen schon jetzt bestmöglich dokumentiert werden, um sie im Nachhinein ahnden zu können.
  4. Spätestens jetzt zeigt sich: Es war ein schwerer Fehler, die Ukraine nicht frühzeitig mit Waffen auszurüsten und in die NATO aufzunehmen. Dementsprechend sollten auch umgehend ernsthafte und zügige Verhandlungen mit Georgien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Moldau, Finnland, Schweden, Österreich und Irland (soweit gewünscht) über einen NATO-Beitritt aufgenommen werden, damit nicht auch ihnen demnächst dasselbe Schicksal wie der Ukraine droht. Ganz offensichtlich ist eine entsprechende Rücksichtnahme auf Russland hierbei nämlich nicht nur sinnlos, sondern kontraproduktiv. Wir begrüßen zudem das Beitrittsgesuch der Ukraine zur Europäischen Union und wollen diesen zügig, offen und ehrlich prüfen. Ein solcher kann erfolgen, sobald die Voraussetzung der EU-Beitrittskriterien erfüllt sind – dabei wollen wir die Ukraine aktiv unterstützen.
  5. Wir müssen zudem endlich die neuen, harten Realitäten in Europa anerkennen und unsere eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Dazu gehört insbesondere eine Stärkung und bessere Ausrüstung der Bundeswehr, um mindestens ihre Fähigkeiten in der Landes- und Bündnisverteidigung zu garantieren. Wir unterstützen weiterhin das 3-Prozent-Ziel für Diplomacy, Development und Defense. Im Rahmen unserer geltenden Verträge beinhaltet dies die Erfüllung des 2-Prozent-Ziels der NATO, welche nicht weiter aufgeschoben werden kann. Daher begrüßen wir das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, welches die Bundesregierung zur Stärkung der Bundeswehr auf den Weg gebracht hat. Neben der besseren Ausstattung fordern wir aber auch strukturelle Reformen in der Führung, Beschaffung und Organisation unserer Streitkräfte. Eine Wehrpflicht lehnen wir ab und fordern stattdessen eine Aufwertung des Freiwilligen Wehrdienstes und der Reserve der Bundeswehr.
  6. Außerdem muss nun, da Russland die NATO-Russland-Grundakte einseitig und eindeutig aufgekündigt hat, auch eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen, inklusive Kurzstreckenraketen analog zu den russischen Iskander-Raketen, in allen östlichen Mitgliedstaaten erfolgen sowie die nukleare Teilhabe ausgeweitet und neue Raketenabwehrsysteme installiert werden, um eine glaubhafte Abschreckung darzustellen, die einen russischen Angriff auf das Bündnis verhindert. Davon unbenommen sind natürlich weiterhin Abrüstungsbemühungen wünschenswert, soweit Russland sich reziprok an ihnen beteiligt.
  7. Weil Russland seine Kriegskasse vor allem mit Rohstoffexporten finanziert, müssen diese sofort gestoppt werden. Um in Deutschland dadurch in keine Energieknappheit zu geraten, müssen
     — sehr kurzfristig weitere Verhandlungen über Lieferungen von Erdgas- und -Öl sowie weiteren Rohstoffen aus anderen Ländern aufgenommen und die OPEC dazu gedrängt werden, ihre Fördermengen zu erhöhen. Mit diesen Importen sollten dann auch die Öl- und Gasspeicher zu 100 Prozent auf Vorrat gefüllt werden, wobei die Kontrolle über sie in jeglicher Hinsicht russischen Konzernen zu entziehen ist;
     — kurzfristig die Laufzeiten der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke um mindestens ein Jahr verlängert werden werden, um insbesondere im Winter 2022/23 keine Stromausfälle zu riskieren;
     — mittelfristig der Ausbau eines LNG-Terminals in Deutschland vorangetrieben werden, um den Import von (künftig auch grünem) Flüssiggas zu erleichtern;
     — langfristig der Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgen, wie er ja schon von der Ampelkoalition geplant ist.
    Zudem begrüßen wir die von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger, wie die Abschaffung der EEG-Umlage und die Senkung der Energiesteuer, um die zu erwartenden Strompreissteigerungen abzudämpfen. Die Stromanbieter und Raffinerien müssen notfalls verpflichtet werden, diese Preissenkung an die Kunden weiterzugeben.
  8. Nun ist auch die Zeit gekommen, endlich eine echte EU-Außen- und Verteidigungspolitik aufzubauen, um als Europa nach außen handlungsfähiger zu werden. Dazu gehört:
     — die sofortige Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei Abstimmungen zur GASP/GSVP im Rat der Europäischen Union;
     — die Stärkung bestehender europäischer Strukturen, wie der PESCO, EDA, EU Battle Groups, des EEAS, EUMS, EUMC usw.;
     — Sicherheitspolitik auch in der EU-Taxonomie zu berücksichtigen. Kaum eine Investition ist nachhaltiger als diejenige in den Frieden und die eigene Verteidigungsfähigkeit;
     — nationale Interessen im Aufbau europäischer Waffensysteme, wie FCAS, zurückzustellen;
     — jetzt konkrete Schritte zum Aufbau einer Europäischen Armee mit einheitlicher und zentraler Kommandostruktur sowie einer echten EU-Außenpolitik mit dem Hohen Vertreter als EU-Außenminister zu unternehmen. Als Grundlage dafür könnte der (bereits 1952 unterzeichnete) Vertrag zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft dienen;
     — bis dahin insbesondere die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Außen- und Verteidigungspolitik, unter Beteiligung weiterer williger Mitgliedstaaten im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit, soweit zu verstärken, dass die teilnehmenden Länder nach außen nur noch mit einer einzigen Stimme sprechen. Solange Russland uns aktiv mit seinen Nuklearwaffen bedroht, gehört dazu auch der zügige Aufbau gemeinsamer europäischer Atomstreitkräfte zur Abschreckung auf Basis der französischen Force de Frappe.
  9. Bereits jetzt sind Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht gen Westen. Es ist begrüßenswert, dass die EU diesmal sehr schnell gehandelt und Verfahren erleichtert hat; nun müssen aber auch zügig die Frage der Verteilung von Geflüchteten geklärt und bürokratische Hürden abgebaut werden, um insbesondere einen schnellen Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
  10. Zuletzt bleibt wichtig, Putins Regime nicht mit den Menschen in Russland gleichzusetzen, sondern mit letzteren – insbesondere jenen, die sich für einen demokratischen Wandel einsetzen und auch zuletzt zu tausenden gegen den Krieg gegen die Ukraine protestiert haben – weiterhin in gutem Kontakt zu bleiben und sie bei ihrem Freiheitsstreben zu unterstützen. Um der Desinformation durch russische Staatsmedien etwas entgegenzusetzen, sollten diese einerseits effektiv in Europa verboten und ausgesperrt werden, andererseits aber auch umgekehrt ein russischsprachiges Gegenangebot aufgebaut werden, mit dem das russische Volk erreicht werden kann. Auf mögliche Desinformationskampagnen und Cyberattacken hierzulande müssen wir uns resilient vorbereiten und reagieren.