Antrag A6006: Die deutsche Energiepolitik nach dem 24. Februar 2022

Antragsteller/ -in: Sachgebiet:
BFA Wirtschaft und Energie A6 - Nachhaltigkeit durch Innovation

Der Bundesparteitag möge beschließen:

Energiepolitik muss deutlich stärker als bisher als wichtiger Teil der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik verstanden werden.

Das bedeutet, dass alle Gesetze, Verordnungen, Festlegungen und Überlegungen die vor dem 24. Februar als Maßstab in der deutschen Energiepolitik galten, in Anbetracht der geopolitischen Situation neu bewertet und zielorientiert ausgerichtet werden müssen.

Wir fordern den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf:

  1. Alle Entscheidungen zu treffen, um die Ziele Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, eine wettbewerbsfähige Industrie und die Einhaltung der Klimaschutzziele gleichberechtigt so zu sichern, dass geopolitische Veränderungen nicht zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Die deutsche Energiepolitik ist grundsätzlich stärker europäisch auszurichten.
  2. Zur Sicherung der Versorgungssicherheit sind alle Energieimporte angemessen zu diversifizieren. Dabei sollten grundsätzlich Importquoten aus einer Bezugsquelle/einem Land auf jeweils maximal 20 Prozent begrenzt werden.
  3. Geeignete Maßnahmen, insbesondere von Mietern, Haus- und Wohnungsbesitzern, zu unterstützen, um den Erdgasverbrauch zu reduzieren und die Effizienz insgesamt steigern. Dazu gehört unter anderem eine objektbezogene und ganzheitliche Energieberatung. Grundsätzlich ist dabei Investitionssicherheit zu gewährleisten.
  4. Die LNG-Verfügbarkeit deutlich zu vergrößern durch die kurzfristige Nutzung von Floating-Terminal-Kapazitäten, die Schaffung stationärer LNG-Terminals und deren Anbindung an das Gasnetz.
  5. Die Gasspeicherkapazitäten in Deutschland deutlich zu vergrößern, um höhere strategische Gasreserven bilden zu können.
  6. Zeitnah ein belastbares Konzept vorzulegen, wie die Versorgungssicherheit mit Strom (angesichts steigenden Strombedarfs) und Wärme sowie Kälte zu jedem Zeitpunkt kurz- und mittelfristig sichergestellt werden kann.
  7. Die mittelfristige Nutzung von neuen Gas-Kraftwerken zur Stromerzeugung ist zu definieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Erdgas eine Brücke für die perspektivisch gewünschte Nutzung von Wasserstoff darstellt.
  8. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist das aktuell verfügbare Potential installierter, gesicherter elektrischer Leistungen (GW) und nutzbarer Energiemengen (GWh) in Bezug auf Weiternutzung zu prüfen. Denkverbote darf es dabei keine geben.
  9. Zusätzliche CO2-Emissionen durch die ggf. notwendig werdende weitere Nutzung von Kohlekraftwerken sind zu kompensieren, CCS-/CCU Anwendungen, insbesondere im Industriebereich, sind zu ermöglichen.
  10. Der systemische Ausbau alternativer Energie ist deutlich zu beschleunigen. Dabei ist der Ausbau von Speichern (zum Beispiel Power-to-X, Pumpspeicherkraftwerke, dezentrale Wasserstoffspeicher) zu berücksichtigen. Dafür sind Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Hemmnisse durch Bürokratie abzubauen und Klagewege zu straffen. Die Gesetzeslage ist, wo notwendig, anzupassen. 

    Begründung 

    Energiepolitik als Element der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik

    Nur als wirtschaftlich starkes Land kann Deutschland in der EU maßgeblich zu Sicherheit und Stabilität in Europa und der Welt beitragen. Voraussetzung für wirtschaftliche Stärke ist eine bezahlbare und sichere Energieversorgung. Der Krieg Putins in der Ukraine zeigt deutlich auf, dass hierzu eine Neuausrichtung der Energiepolitik erforderlich ist. Versorgungssicherheit, Verfügbarkeit, niedrige Kosten, Wirtschaftlichkeit und die Verminderung der Treibhausgasemissionen, können und müssen durch echte Technologieoffenheit in der Energieversorgung und breite Diversifikation beim Energieträgerimport erreicht werden.

    Überlegungen zu notwendigen Schritten

    Alle Festlegungen, Gesetze und Überlegungen, die vor dem 24. Februar als Maßstab in der deutschen Energiepolitik galten, müssen in Anbetracht der neuen geopolitischen Lage bewertet und zielorientiert ausgerichtet werden.

    Es sind Entscheidungen zu treffen, um die Abhängigkeit von – insbesondere russischen – Energieimporten zu verringern. Auch krisenfeste Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, eine wettbewerbsfähige Industrie und die Einhaltung der Klimaschutzziele sind dabei zu sichern.

    Ausgangssituation:

    Der Primärenergieverbrauch Deutschlands betrug 2021 12.193 Petajoule.

    Rund 70 Prozent des Primärenergiebedarfs muss Deutschland durch Importe decken.

    Der jeweilige Anteil an den Importen aus Russland betrug 2020 für:

    • Steinkohle: 50 Prozent
    • Uran: 100 Prozent
    • Mineralöl: 35 Prozent (mit Kasachstan und Aserbaidschan ca. 50 Prozent)
    • Erdgas: 55 Prozent

    Die wesentlichen Zielenergien für die aus Russland importierten Energieträger sind für:

    • Steinkohle: Strom; auch Prozesswärme und Reduktionsmittel (Koks) für Hochöfen und Gießereien
    • Uran: Strom
    • Erdgas: Wärme (Gebäudeheizung und Prozesswärme); auch Strom
    • Mineralöl: Kraftstoffe; auch Wärme

    Obwohl fast alle von Russland importierten Primärenergien überwiegend (Steinkohle, Uran) oder teilweise (Gas) für die Stromerzeugung genutzt werden, scheint die Sicherheit der Stromversorgung nicht ernsthaft gefährdet.

    Stein- und Braunkohlekraftwerke

    Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien sollen unter anderem alle deutschen Kohlekraftwerke planmäßig bis spätestens 2038 stillgelegt werden. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist der Ausbau von wetterunabhängigen Gaskraftwerken vorgesehen, die langfristig mit Biogas und/oder Wasserstoff, übergangsweise aber auch mit Erdgas (mit/ohne CCS) betrieben werden sollen.

    Sollten Biogas, Wasserstoff und Erdgas oder die erforderlichen Kraftwerkskapazitäten nicht rechtzeitig in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, ist ein vorübergehender Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken einzuleiten. Hierzu ist rechtzeitig und regelmäßig eine Überprüfung zuverlässiger Brennstoffversorgung vorzunehmen.

    Kernkraftwerke

    Die in 2022 letzten drei am Netz verbliebenen KKW (KKE Emsland, GKN-2 Neckarwestheim und KKI-2 Isar) haben eine Leistung von zusammen ca. 4,3 GW und können ca. 34 TWh Strom p.a. erzeugen. Die Ende 2021 vom Netz genommenen KKW (Grohnde, Gundremmingen C, Brokdorf) hatten eine Leistung von zusammen ca. 4,1 GW. Nach geplanter Abschaltung der letzten KKW Ende 2022 besteht kein weiterer Bedarf an Kernbrennstoffen.

    In der Diskussion ist ein befristeter Weiterbetrieb der KKW über 2022 hinaus. Hierzu müssten aber Genehmigungen verlängert/erneuert, vermutlich auch Personal zumindest teilweise reaktiviert und neu rekrutiert und neue Brennelemente beschafft werden. Zur politischen Entscheidung für oder gegen einen lückenlosen Weiterbetrieb der KKW müssen somit eine Reihe von Fragen schnell geklärt werden. Die Alternative Steinkohle beziehungsweise Braunkohle ist in der Abwägung zu betrachten. Für einen Weiterbetrieb spricht die schnelle und sichere Verfügbarkeit von weitgehend treibhausgasfreier Erzeugung von Strom in relevanten Mengen. Die schwerwiegenden Veränderungen der weltpolitischen Rahmenbedingungen erfordern schnelle Entscheidungen ohne Denkverbote.

    Gaskraftwerke

    Kurz- und mittelfristig sind bisher wegen der relativ geringen CO2-Emissionen Gaskraftwerke als Substitution von Kohle- und Kernkraftwerken vorgesehen. Langfristig mit dem Aufbau einer ausreichenden und zuverlässigen Wasserstoffinfrastruktur sollen Gaskraftwerke komplementär zu der volatilen Stromerzeugung durch Photovoltaik- und Windkraftanlagen betrieben werden. Im Ausbauzustand wäre also eine Versorgung mit Wasserstoff oder Biogas sicherzustellen. Kurz- und mittelfristig sollte eine diversifizierte Beschaffung organisiert werden. Aus Kostengründen ist ein Bezug über Pipeline vorteilhaft. Aus Sicht der Versorgungssicherheit sollte der schon diskutierte direkte Zugang zu LNG zügig umgesetzt werden. Der Bau von Schiffsterminals in Deutschland, aber auch der Zugang und die Nutzung von LNG-Terminals im Ausland, ggf. mit Anbindung per Pipeline sollten alternativ geprüft werden. Parallel wäre ein Ausbau von Lieferungen aus Norwegen, evtl. als Option denkbar. Um auch künftig über genügend Planungszeit zu verfügen, wäre der Ausbau der Kapazität der Gasspeicher mit einer Reichweite von zum Beispiel einem Jahr denkbar.

    Wärmeversorgung von Haushalten und Industrie

    Während eine Umstellung der Stromversorgung ob der ohnehin stattfindenden Energiewende relativ einfach möglich scheint, ist eine Umstellung der sehr kleinteiligen und maßgeschneiderten Wärmeversorgung nur langfristig zu realisieren. Ca. 50 Prozent des Wohnungsbestandes wird vor Ort mit Erdgas geheizt, 25 Prozent mit Heizöl. Für eine Umstellung wäre in der Regel eine neue Heizung zu installieren. Die Versorgung mit Erdgas (und auch Heizöl) sollte deshalb längerfristig sichergestellt werden – sowohl für Haushalte als auch für die Industrie.

    The times they are changing – so auch die Politik

    Zum Streiten gehören mindestens zwei. Auch zum Verstehen oder Missverstehen. Mindestens genauso wichtig wie die Absicherung unserer Energieversorgung ist die Rückkehr zu einem Dialog auf Augenhöhe. Meistens gibt es mehr als eine Wahrheit.

    Und übrigens, die Rohstoffvorräte unserer Welt haben sich durch den Krieg gegen die Ukraine nicht verändert. Die Kooperation mit Russland bezüglich der Energieversorgung war auch für uns sehr vorteilhaft und ist nicht der Grund des aktuellen Konfliktes. Die Sanktionen gegen Russland sind zurzeit wahrscheinlich zumindest teilweise wirksam. Aber Nordkorea, Iran, Venezuela zeigen, dass Sanktionen sehr häufig nicht zu den erhofften Ergebnissen führen.