Der Westen unter Druck

Weltweit verfolgen Diktatoren, Autokraten und Extremisten eine Agenda, die für liberale Demokratien ein Warnsignal sein muss. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ordnet in seinem Artikel für die fdplus die aktuelle Situation ein.

Bijan Djir-Sarai
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai

Israel ist in seiner Existenz bedroht

Der 7. Oktober 2023 ist nicht nur augenblicklich als ein erschütterndes Fanal in die Geschichte des Staates Israel eingegangen, sondern hat weltweit für Schock und Verstörung gesorgt. Die massenhaften, extrem brutalen Morde der islamistischen Hamas stellen ohne Zweifel einen zivilisatorischen Tiefpunkt dar. Sie sind an hasserfüllter Unmenschlichkeit kaum zu überbieten.

Dass an diesem Tag Anfang Oktober so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden, wie seit der Zeit der Shoa nicht mehr, ist keine Banalität, keine Randnotiz. Wir haben es nicht mit einer reinen Eskalation zwischen Terroristen und dem Staat Israel zu tun. Nein, Israel ist derzeit akut in seiner Existenz bedroht. Das Ziel dieser Angriffe war und ist die Vernichtung dieses Staates und der dort lebenden Menschen.

Terroristen sind keine Freiheitskämpfer

Umso verstörender und unerträglicher ist das Verhalten jener, ob in den USA oder in Europa und Deutschland, die die Ermordung von Kindern, Frauen und Männern feiern, rechtfertigen und Terroristen zu Freiheitskämpfern stilisieren. Allzu oft begleitet durch ein dröhnendes Schweigen von sonst eher lautstarken gesellschaftlichen Gruppen oder einer abstoßend kalten Empathielosigkeit gegenüber Jüdinnen und Juden in Israel und weltweit. Selbst internationalen Organisationen gelingt es mit Blick auf den 7. Oktober teils nicht einen angemessenen und respektvollen Ton zu treffen, oder nicht in eine Täter-Opfer-Umkehr zu verfallen.

Antisemitismus in Deutschland

Der sich aus unterschiedlichen Motiven heraus bahnbrechende obsessive Antisemitismus hat auch in Deutschland eine neue Dimension bis in bürgerliche Schichten hinein erreicht. Das beginnt beim Anlegen der stets selben Doppelstandards, wenn es um Israel geht und setzt sich fort bei den absurd häufigen Verurteilungen der einzigen Demokratie im Nahen Osten durch UN-Gremien. Es hat zu tun mit der typischen „Ja-aber-Argumentation“, mit der Delegitimierung des Staates Israel durch antisemitische Gruppierungen wie BDS sowie der ermüdenden, faktisch falschen Behauptung Israel sei ein Apartheidstaat. Die klassischen rechtsextremen Verschwörungstheorien setzten dem Ganzen schließlich die Krone auf und gehen eine fatale Allianz mit Antisemiten von links und judenhassenden Islamisten ein.

Das alles hat gesellschaftliche und politische Folgen, denen sich auch die freien, westlichen Gesellschaften in Europa stellen müssen. Der Angriff auf Israel und seine weltweiten Auswirkungen gehen uns alle an, zumal wir sie ganz konkret auf unseren Straßen beobachten können.

Feinde der Demokratie verbünden sich

Einmal mehr zeigt sich, wie rasant sich die Welt verändert und was diese fundamentalen Veränderungen auch für uns bedeuten. Die Feinde von Freiheit und Demokratie sind auf der ganzen Welt aktiv und verbünden sich, um freie Gesellschaften zu bekämpfen. Wir wissen, dass Diktatoren, Autokraten, Populisten und Terroristen ihre eigenen Allianzen und Bündnisse schmieden. Das Ziel: Unsere Gesellschaften destabilisieren und unsere westlichen Werte bekämpfen.

Zeitenwende nach russischem Überfall auf die Ukraine

Wir wissen seit vielen Jahren, wohin sich Russland entwickelt. Gerade wir als Deutsche stehen vor enormen Herausforderungen mit Blick auf die Ambivalenz Chinas, welches wir handelspolitisch brauchen, das aber nicht weniger als die Vorherrschaft auf diesem Globus anstrebt. Wir wissen um die Rolle des Mullah-Regimes in Teheran, auf das sich Machthaber in der ganzen Welt stets bei Menschrechtsverletzungen, Gewalt und Waffenhandel „verlassen“ können. In diesem Konzert darf auch Nordkorea, als wahre Blaupause für diktatorische Auswüchse, nicht fehlen. Unterdrückung und Illiberalität sind für diese Staaten überlebenswichtig, da sie ihre eigene Macht daraus schöpfen.

Zu Recht hat auch Deutschland, ebenso wie ganz ähnlich die Vereinigten Staaten 2020, in seiner kürzlich vorgelegten Nationalen Sicherheitsstrategie die „freie internationale Ordnung“ sehr bewusst Erwähnung finden lassen.

Mit der sogenannten Zeitenwende haben wir politisch nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine die Weichen neu gestellt. Vor allem auch mit Blick auf unsere eigene Verteidigungsfähigkeit. Denn mehr und mehr haben es die liberalen Demokratien der Welt mit Akteuren zu tun, die nicht daran denken, internationale Regeln oder geübtes Recht einzuhalten, sich gleichzeitig aber auf eben diese berufen. So spielen sie sich quasi gegenseitig nutzbringend die Bälle zu, etwa auch unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Autoritären Staaten begegnen

Diesen ebenso bedenklichen wie bedrohlichen Entwicklungen gegen eine regelbasierte Ordnung muss die zivilisierte Welt mit umso mehr Zusammenhalt, Nachdruck und auch Selbstbewusstsein begegnen. Es ist absurd, zynisch und kontraproduktiv, wenn ausgerechnet der Iran, wie kürzlich erneut geschehen, den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen übernimmt. Diplomatie hin oder her: Hier muss Klartext geredet werden und dies gilt es zu verurteilen! Ansonsten lautet die Botschaft an die Diktaturen dieser Welt: „Schaut her, unsere Werte nehmen wir selbst nicht ernst. Sie sind höchstens Mittel zum Zweck“. Diese Narrative gibt es längst. Für autoritäre Staaten ist es an der Tagesordnung zu simplifizieren. Intransparenz und Desinformation sind ihre Lebenselixiere.

Doch müssen sie unglaublich viel Energie und Kapital in Machterhalt investieren. Denn der Freiheitsdrang der Menschen existiert immer. Im Iran, auf Kuba oder auch in Gaza, bei denjenigen, die den Hamas-Terror hinter sich lassen wollen. Es liegt in der Natur des Menschen, frei, unabhängig und kreativ zu sein. Deswegen sind freie Staaten wirtschaftlich und mit Blick auf Innovationen auch erfolgreicher als Diktaturen. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind drei große Schätze zahlreicher Gesellschaften dieser Erde.

Die Gegner im Inneren der Gesellschaft

Um unsere regelbasierte Ordnung zu erhalten, muss die zivilisierte Welt umso mehr in großer Entschiedenheit agieren. Zur realistischen Betrachtung gehört nämlich auch, dass die Gegner westlicher Gesellschaften auch Teil dieser selbst sind. So kommt zu einer oftmals eher abstrakt wirkenden Bedrohung von außen eine sehr konkrete von innen hinzu. In den aktuellen Diskussionen um den Nahostkonflikt erleben wir eine teils abenteuerliche ideologische und inhaltliche Verschmelzung zwischen diesen Akteuren in Deutschland selbst.
Das müssen wir verinnerlichen und danach handeln. Die Politik ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger.

Wehrhaftigkeit der Demokratien

Wenn dieses Bewusstsein auf allen Ebenen verankert ist, werden Antisemiten, Populisten, Links- und Rechtsradikale sowie der internationale Terror am Ende kaum obsiegen können. Aus diesem Grund ist es höchste Zeit, klar zu machen, in welchem Europa und Deutschland wir leben wollen und für eben dieses einzustehen – gegen Gegner im In- und Ausland. Unsere Demokratie wird sich nun an ihrer Wehrhaftigkeit messen lassen müssen. Der 7. Oktober ist eine Tragödie für Israel, aber auch für den Westen insgesamt.