Im Zentrum steht immer das Individuum
Christian Lindner hat dem Bundesparteitag seinen Rechenschaftsbericht vorgelegt. Er blickt voller Dankbarkeit auf seine Amtszeit zurück und eröffnet ein neues Kapitel für die Partei.

Das Bleibende sei der Weg selbst, so Lindner. „Ich schaue auf eine großartige Reise mit euch zurück. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.“ Mit diesen Worten eröffnet FDP-Chef Christian Lindner seinen Rückblick auf mehr als ein Jahrzehnt an der Spitze der Freien Demokraten – und kündigt seinen Rückzug aus dem Amt an.
Er erinnert an schwierige Zeiten und den unbeirrbaren Willen der Partei zur Erneuerung: „Immer wieder liest man: Die FDP am Boden. ‚In den kommenden Jahren geht es um die Existenz der Partei‘ oder auch ‚Auf dem Weg zur Splitterpartei‘ oder – besonders gerne zitiere ich – ‚Schlapp, schlapper, FDP‘. Diese Überschriften klingen aktuell, sie sind aber mehr als elf Jahre alt. Sie sind schmerzhaft, aber wir sind damit vertraut.“ Seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden am 7. Dezember 2013 sei viel erreicht worden: „Wir haben 10.000 neue Mitglieder gewonnen und unsere Organisation auf ein solides Fundament gestellt.“
Neuanfang statt Nullpunkt
Die damaligen Krisendiagnosen erwiesen sich als falsch: „Die Prognosen der Jahre 2013 und 2014 haben wir gemeinsam durch harte Arbeit und durch die Rückbesinnung auf unsere liberalen Koordinaten zu Fehleinschätzungen werden lassen.“ Und er ruft dazu auf, diesen Weg erneut zu beschreiten: „Das ist nun wieder die Aufgabe, der wir uns stellen. Mag sich dieser Parteitag also für viele wie ein Nullpunkt anfühlen – er ist nur ein neuer Anfang für diese großartige Freie Demokratische Partei.“
„Liebe Freundinnen und Freunde, wir wären nicht hier, wenn wir nicht Rückschläge erlitten und Fehler gemacht hätten.“ Christian Lindner erkennt offen an, dass die FDP Vertrauen eingebüßt hat – und leitet daraus den nächsten Schritt ein: „Das werden wir unter einer neuen Parteiführung aufarbeiten, um daraus zu lernen.“
Die Rede von Christian Lindner in voller Länge
Zwei Deutungen des Vertrauensverlusts
Zur Diskussion um Ursachen des Vertrauensverlusts sagt Lindner: „Im Kern gibt es aber zwei Deutungen, warum wir während der Ampelkoalition Zustimmung und Glaubwürdigkeit verloren haben.“ Und er führt aus: „Die einen fanden, wir hätten zu viele Kompromisse mit linken Parteien geschlossen und deshalb unser Profil verloren. Die anderen fanden, wir hätten mehr Kompromisse und Bereitschaft zeigen müssen, um nicht als Blockierer denunziert werden zu können.“ Lindner legt noch eine dritte Interpretation vor: „Tatsächlich haben wir stets unser Bestes gegeben, um den Auftrag unserer Wählerinnen und Wähler zu erfüllen.“
„Es gab damals keine verantwortbare Alternative“
Zum Eintritt in die Ampelkoalition 2021 sagte Lindner rückblickend: „Wir sind 2021 aus staatspolitischen Gründen in die Ampelkoalition eingetreten.“ Die damalige Entscheidung verteidigt er entschieden: „Wer das mit dem Wissen von heute kritisiert, übersieht, dass es damals keine verantwortbare Alternative gegeben hätte.“ Lindner räumt ein: „Wir kannten das Risiko, aber wir sind es eingegangen.“ Und mit Blick auf die Regierungsarbeit der FDP zieht er eine positive Bilanz: „Wir haben in Regierungsverantwortung getan, was in der Konstellation möglich war. Das war im Übrigen gar nicht so wenig.“
„Ich gestehe auch ganz persönlich: Mir fallen flotte Wenden bei den politischen Grundüberzeugungen schwer.“ Und mit Blick auf den politischen Wettbewerber ergänzt er: „In der CDU gibt es viele, die dazu mehr Talent haben als wir.“
Verantwortung der FDP in der APO
„Wenn die Regierung Merz diese neue Fiskalpolitik nicht mit Reformen flankiert, dann wird diese Richtungsentscheidung zuerst ökonomisch wie ein Boomerang zurückkommen – und danach auch an der Wahlurne 2029.“ Der Auftrag für die Freien Demokraten sei unter den Bedingungen der Regierung Merz klar, so Lindner: „Tatsächlich ist es nun unsere Verantwortung – als in der außerparlamentarischen Opposition tätige Partei – die Reformen zu durchdenken und öffentlich einzufordern, die die Regierung Merz braucht, damit die eigenen neuen Schulden dauerhaft tragfähig sind.“ Dabei gehe es um mehr als parteipolitisches Kalkül: „Denn im Parlament gibt es eine marktwirtschaftliche Opposition gegenwärtig nicht. Das ist unser Auftrag. Es ist eine Verantwortung, die wir für unser Land zu tragen.“
Dank an die Partei und Weggefährten
Lindner nimmt sich viel Zeit, um Weggefährten, Kollegen, Mitarbeitern und seiner Familie für die Unterstützung in den vielen Jahren politischer Arbeit zu danken. „Ich denke an Guido Westerwelle, der mir die Chance eröffnet hat, als Generalsekretär zu wirken. Ich denke an Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel, deren Rat ich vermisse. Besonderen Dank schulde ich aber Marco Buschmann, Wolfgang Kubicki, Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, Steffen Saebisch und Hermann Otto Solms.“
Liberale Idee unter Druck
„Vor uns liegt eine Phase der inhaltlichen Erneuerung. Sie ist nicht nur nötig wegen unserer Wahlniederlage. Denn nicht nur die FDP hat einen Rückschlag erlitten. Der Liberalismus selbst, diese Philosophie des eigenverantwortlichen freien Individuums, ist weltweit in der Defensive.“ Christian Lindner stellt die FDP in einen größeren weltpolitischen Zusammenhang und ruft zur Rückbesinnung auf den Kern liberaler Überzeugungen auf. „Die Antwort auf die Frage ‚Worum geht es euch?‘ ist für den Liberalen gemacht. Es geht uns um dich. Es geht uns um deine Chance, im Hier und Jetzt glücklich zu werden.“
Freiheit als Kompass
Lindner betont die bleibende Relevanz liberaler Grundwerte in einer polarisierten und von Machtkonzentration geprägten Welt. „Im Zentrum unserer politischen Arbeit als Liberale steht immer das Individuum. Im Zentrum unserer Bemühungen steht, die und den Einzelnen stark zu machen, zu schützen vor dem Machtzugriff anderer.“ Dabei gehe es um einen umfassenden Freiheitsbegriff: „Es ist ein 360-Grad-Liberalismus, in dessen Zentrum jeder einzelne Mensch steht. Und wenn seine Freiheit gefährdet und eingeschränkt wird, dann ruft das uns Freie Demokraten auf den Plan. Das war immer so und das bleibt so!“