Chatkontrolle endgültig ad acta legen

Die Chatkontrolle bei Messaging-Diensten soll kommen – vorerst freiwillig. Darauf haben sich die 27 EU-Staaten am Mittwoch in Brüssel geeinigt. Christian Dürr will, dass die Chatkontrolle endgültig ad acta gelegt wird.

Mann, Video-Wand, Computer, Überwachung
Die Freien Demokraten kämpfen weiter für die private und vertrauliche Kommunikation im Netz.

Im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch sollen Messenger-Dienste jegliche private Kommunikation auf mögliches kinderpornografisches Material scannen dürfen. Die EU-Staaten wollen die Anbieter zwar nicht verpflichten, ihnen aber genau diese Möglichkeit „freiwillig“ einräumen. Der Kompromiss der 27 EU-Staaten sieht vor, dass die EU-Kommission nach drei Jahren prüft, ob doch eine Verpflichtung der Anbieter nötig wird. Für die Freien Demokraten ist das immer noch eine fatale Regelung. Schließlich geht es um die Grundrechte von 450 Millionen Menschen.

FDP-Chef Christian Dürr mahnt: „Man muss sich immer wieder klar machen, um was es hier geht. Es geht um das Briefgeheimnis im Digitalen. Also darf mindestens der Anbieter – vielleicht sogar zusammen mit dem Staat – jeden Brief öffnen. Dazu kann es in einem Rechtsstaat nur ein klares Nein geben.“ Man könne nicht anlasslos, also ohne jeden Verdacht, jeden Brief öffnen dürfen. „Die Chatkontrolle muss endgültig ad acta gelegt werden. Es ist ein falsches Instrument und passt nicht zu einem Rechtsstaat“, sagt Dürr im Interview mit der „Neuen Züricher Zeitung“.

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Die verpflichtende Freiwilligkeit öffnet massive Grauzonen und Risiken

Die Chatkontrolle bedeutet für ihn nichts anderes als das anlasslose und massenhafte Scannen — selbst verschlüsselter — privater Kommunikation. Auch viele Daten in einer Cloud könnten so ohne konkreten Tatverdacht durchforstet werden. Dürr sieht zudem die Gefahr, dass die freiwilligen Scans auch auf andere Delikte ausgeweitet werden: „Wenn ein Instrument da ist, steigt die Versuchung, es auch für andere Delikte zu nutzen. Es ist zu befürchten, dass dann auch Argumente gefunden werden, Chats zu durchsuchen, wenn es nur darum geht, wie sich jemand um sein Parkticket drückt. Es ist eine Schwelle, die man in einem Rechtsstaat nicht überschreiten darf.“

Er verweist auch auf die technischen Hürden bei der Chatkontrolle: „Hier fehlt mir die Frage, ob die Instrumente, die zur Diskussion stehen, überhaupt funktionieren.“ Ein Argument, das zuvor schon FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner eingebracht hat: „Welche Technologie soll eingesetzt werden, um mit der Chatkontrolle unsere gesamte Kommunikation zu überwachen?“ Die Thorn’s Safer, die Software der NGO Thorn, gibt die Genauigkeit seines Tools mit 99,9 Prozent an. „Selbst bei einer Milliarde Nachrichten pro Tag würde dies zu einer Millionen falschen Treffern führen, eine enorm hohe Zahl, die die Behörden überlasten würde.“ Die Folge: „Statt sich auf die Verfolgung von Verbrechen zu konzentrieren, würden die Behörden mehr Zeit damit verbringen, falsche Meldungen auszusortieren. Angesichts dieser Erkenntnisse ist es erforderlich, die Chatkontrolle zu stoppen.“

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Quick-Freeze-Verfahren jetzt

Dürr sagt: „Es gibt doch rechtsstaatliche Alternativen zur Chatkontrolle. Wie wäre es, wenn wir stattdessen mehr Ermittler einstellen, die dann gegen kriminelle Vereinigungen und ihre widerlichen Verbrechen vorgehen? Wir versuchen manchmal Verbrechen einfach nur durch neue Behörden und neue Verwaltungsabläufe zu bekämpfen. Es braucht Ermittler, die kriminelle Netzwerke aufspüren und dort nachforschen, wo ein konkreter Verdacht vorliegt. Stattdessen versuchen wir die Nadel im Heuhaufen zu finden, indem wir den Heuhaufen grösser machen.“

Dürr wirbt einmal mehr für das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, mit dem Daten bei einem konkreten Verdacht mit richterlichem Beschluss gespeichert und dann eingesehen werden können. „Hier steht an erster Stelle der konkrete Verdacht. Wenn gegen jeden Bürger ohne jeden Anlass jederzeit ermittelt werden kann, dann ist das eines Rechtsstaats nicht würdig.“

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält den Plan nach wie vor für unvereinbar mit dem deutschen Grundgesetz. Er ist überzeugt: „Wenn die Chatkontrolle kommt, ist die EU als Freiheitsprojekt tot.“ Kubicki appelliert an die Bürger, sich gegen die Pläne zur Wehr zu setzen. „Wenn die Chatkontrolle kommt, ist das das Ende der Privatsphäre in Europa. Es ist zudem eine fundamentale Bedrohung für die Presse- und Meinungsfreiheit. Wer bei diesem geplanten Dammbruch heute schweigt, kann vielleicht morgen schon nicht mehr frei reden.“