Reformkraft statt Stillstand

Ob bei Rente, Migration oder Bildung: FDP-Chef Christian Dürr wirbt für mutige Reformen statt bestehende Systeme teuer weiterzubetreiben. Im neuen FDP-Grundsatzprogramm will er greifbare Antworten auf die Herausforderungen geben, die Menschen täglich beschäftigen.

Christian Dürr
Christian Dürr findet: „Jeder Mensch sollte am Beginn des Lebens gleiche, faire Startbedingungen haben, unabhängig vom Elternhaus.“

Deutschland steckt fest in überbordender Bürokratie, blockierten Reformen und wirtschaftlicher Stagnation. Für Christian Dürr ist das nicht länger hinnehmbar. Der FDP-Parteichef will weg vom Abstrakten und hin zum Konkreten und setzt dafür auf einen ungewöhnlichen Prozess. Beim neuen Grundsatzprogramm sollen nicht nur Parteimitglieder, sondern alle Bürgerinnen und Bürger mitreden. Derzeit läuft dazu eine offene Umfrage.

Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt Dürr, Ziel sei es, Lösungen für die Alltagsprobleme der Menschen zu entwickeln, orientiert an deren Lebenswirklichkeit und ohne Politikersprech. Gerade sein Herzensthema Wirtschaft klinge oft abstrakt, betreffe jedoch jeden. 

„Vor Kurzem hat mir eine alleinerziehende Mutter geschrieben, dass sie, obwohl sie arbeitet, nicht mehr in der Lage ist, den Sommerurlaub für ihre Kinder und sich zu finanzieren. Nicht mal eine Woche ist drin.“ Solche Fälle zeigten für ihn: „Es geht um den Sommerurlaub. Es geht um zu hohe Sozialversicherungsbeiträge. Es geht um die Rentenlücke. Es geht um Bildung.“

Einwanderung in den Arbeitsmarkt statt ins Sozialsystem

Der Reformstau im Land ist enorm. Dürr will die FDP als moderne Reformkraft positionieren, nicht aus Selbstzweck, sondern weil er überzeugt ist, dass das genau das sei, was das Land brauche.

Einen weiteren Schwerpunkt setzt er in der Migrationspolitik. Die FDP verbinde hier klar Einwanderungspolitik mit Leistungsbereitschaft, Asylmigration müsse „die absolute Ausnahme“ sein. Unverständlich ist für den Parteichef, warum es jenen, die arbeiten wollen, so schwer gemacht wird. Ein Arbeitsvisum zu erhalten dauere oft Monate oder Jahre. „Die gut Ausgebildeten warten dann nicht mehr, die gehen nach Kanada oder Australien“, kritisiert er.

Dass Deutschland mehr Menschen im Arbeitsmarkt brauche, sei aber offensichtlich, nicht zuletzt mit Blick auf die Rente. Immer weniger Arbeitnehmer müssten für immer mehr Rentner aufkommen. Für Dürr ist Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme daher gefährlich, gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt hingegen unumgänglich, um diese Systeme zu stabilisieren. 

„Von Versprechungen kann kein Rentner leben“

Gleichzeitig müsse das Rentensystem mit einer Aktienrente auf solide Beine gestellt werden. „Aktuell versprechen alle immer sichere Renten, aber offensichtlich ist keiner bereit, mutige Reformpolitik zu machen“, kritisiert er. Stattdessen werde die Lücke zwischen Beitragszahlern und Rentnern durch Steuerzuschüsse geschlossen, allein 130 Milliarden Euro in diesem Jahr. 

So wird ein gescheitertes System teuer weiterbetrieben, anstatt es umzustellen. Würde von diesen Milliarden, wie von der FDP gefordert, ein Teil am Aktienmarkt angelegt, wäre schon viel gewonnen. Von Versprechungen könne schließlich kein Rentner leben, nur von einer soliden Finanzierung des Systems, so Dürr. 

Chancengleichheit ab der ersten Klasse

Auch im Bildungsbereich müsse endlich gehandelt werden. Der FDP-Chef zeigt sich „teilweise stinksauer“, weil der Bildungsföderalismus jede Reform blockiert. Die Kultusminister der Länder würden, anstatt zu handeln, die Verantwortung von sich schieben. „Manche kommen mir vor wie Abteilungsleiter in einem schlecht geführten Baumarkt. Wenn der Kunde nach einer Schraube fragt, antworten sie, das sei nicht ihre Abteilung. Das muss endlich aufhören.“ 

Ein Kernziel der FDP sei, dass jedes Kind in der ersten Klasse über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge. „Jeder Mensch sollte am Beginn des Lebens gleiche, faire Startbedingungen haben, unabhängig vom Elternhaus.“